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Wir denken falsch über Politik nach

Wir denken falsch über Politik nach, wir kategorisieren nach den Ideologien des 20. Jahrhunderts. Ich denke, eine neuen Kategorisierung wäre gut: Eine Einteilung in „was bringt die Menschen zusammen“ gegenüber „was spaltet uns“.

Die Kategorien des 20. Jahrhunderts

Aus dem 20. Jahrhundert (eigentlich aus dem 18. Jahrhundert) sind wir eine Einteilung der Politik in „links“ und „rechts“ gewöhnt.

„Links“ zielt dabei ursprünglich in Richtung Sozialismus und Kommunismus, manchmal auch grün, bis hin ins autonome Spektrum.

„Rechts“ ist ursprünglich belegt durch die Aristokratie, durch konservative Poltik, und hat gerade in Deutschland am extremen Rand den Nationalsozialismus und/oder Faschismus.

Weitere Kategorien sind egalitär – elitär, progressiv – konservativ – internationalistisch – nationalistisch, dirigistisch – marktwirtschaftlich und so weiter. All das kann man in „Links“ gegen „Rechts“ darstellen. Es sind die Kategorien, die die großen Denker aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert aufgestellt haben, um mit den demokratischen Revolutionen, den Religionskriegen und der Industrialisierung fertigzuwerden.

Für das vergangene Jahrhundert waren diese Kategorien nicht schlecht. Wir sollten uns daran erinnern, dass zwar die Welt im 20. Jahrhundert (wie in allen Jahrhunderten, übrigens) von Kriegen zerfressen war, doch dank dieser Denker und den Menschen, die ihre Ideen so gut wie möglich in die Tat umgesetzt haben, Europa inzwischen seit drei Generationen in Frieden zusammenlebt. Das gab es in Europas Geschichte noch nie, und auch weltweit ist das eine ungewöhnlich lange Zeit.

Das 21. Jahrhundert

Drei Generationen, das bedeutet dass heute in Europa kaum noch jemand lebt, der die Verheerungen eines Krieges im eigenen Land erlebt hat – und der gleichzeitig den Luxus kennt, den auch nur ein paar Jahre Frieden darstellen. Das Gegenteil, einen Krieg der eine ganze Generation, 30 Jahre oder jedenfalls „sehr lange“, dauerte, war in der europäischen Geschichte normaler.

Wir alle kennen Kriege aus dem Fernsehen (sowohl aus den Nachrichten als auch aus mehr oder weniger nachdenklichen Action-Filmen) – aber was es bedeutet, wenn man einschläft in der Hoffnung, dass uns heute Nacht die Sirenen nicht wecken, dass wir nicht hektisch und in Todesangst unsere Kinder schnappen und zum Bunker rennen müssen… das kann heute in Europa kaum noch jemand nachvollziehen.

Ein neues Problem wächst jetzt in den friedlichen Ländern heran: Das Problem des Populismus. Wo die Länder in kriegerischen Zeiten ganz einfach von einem gemeinsamen Ziel („Überleben“) zusammengehalten werden, sind die Ziele der Menschen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zerfasert, und wo die Ziele zerfasern, zerfasert auch die Gesellschaft. An jeder Faser kann ein Populist „andocken“ und seine Gefolgschaft rekrutieren.

Politische Einteilung für das 21. Jahrhundert

Darum habe ich seit einiger Zeit instinktiv Politik für mich neu eingeteilt, vor allem in „bringt die Menschen zusammen“ gegenüber „spaltet das Land“.

Das Ganze kann man auf der kleinsten Ebene spielen, der Familie, von dort aus auf die Kommune, Landkreise, Länder, Bund, Europa und die Welt.

Und man sollte dabei immer den „Preis“ bedenken, die langfristigen Auswirkungen: „Freibier für alle“ bringt die Menschen zusammen, aber irgendjemand muss den Preis dafür bezahlen. Populismus bedeutet (häufig), dass Art, Höhe und Zahler des Preises im Nebel bleiben, dass für einen kleinen politischen Erfolg heute ein großes Problem in der Zukunft akzeptiert wird.

„Spaltet die Menschen“

Viele an sich gute Ideen haben in den letzten zehn, 20 Jahren dazu geführt, dass die Bürger immer mehr gegeneinander arbeiten. Der vielbejammerte Verfall der politischen Kultur, der zu Morden wie dem Mord an Walter Lübcke, den G20-Ausschreitungen in Hamburg oder der unsäglichen Situation am Hambacher Forst führte (und sich im Alltag in Beleidigungen und Ausgrenzungen in den sozialen Netzen bemerkbar macht) ist das Ergebnis einer zunehmenden „spaltenden“ Politik.

Beispiel: Euro-Rettung

Das erste gut sichtbare, hochgradig umstrittene Ereignis auf der europäischen Ebene war die Euro-Rettung. Aus der Sicht der neuen Kategorien stellt sich dabei weniger die Frage, ob die Euro-Rettung wirtschaftlich eine gute Idee war oder nicht – die Frage ist: Hat die Euro-Rettung uns näher zusammengebracht, oder hat die Euro-Rettung uns gespalten?

Es geht mir dabei nicht um irgendeine ideologische Klassifizierung von „richtig“ oder „falsch“. Es geht mit nur um die beobachtbaren Auswirkungen: Hat die Euro-Rettung die Menschen zusammengebracht oder gespalten?

Inzwischen ist klar: Die Euro-Rettung hat Europa gespalten. Sie war ein Tropfen in dem Fass, das zum Brexit geführt hat. Sie hat die europäischen Länder gegeneinander aufgebracht, und in Deutschland hat sie zur Gründung der AfD geführt – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Beispiel Flüchtlingspolitik

Auch die Flüchtlingspolitik hat offensichtlich die Menschen gespalten. Dies ist umso bemerkenswerter, als sie eigentlich auf der Ebene „Welt“ das Ziel verfolgt, den Menschen zu helfen, aber (auch) so ist Politik. Wie etliche griechische Sagen beleuchten, führt eine gut gemeinte Entscheidung häufig erst das Ergebnis herbei, das sie eigentlich verhindern sollte.

Fest steht jedenfalls, dass die EU beim Flüchtlingsthema tiefst gespalten ist. Das war eindeutig der Punkt, der nach vielen Jahren das Brexit-Fass überlaufen ließ, und auch die „Visegrad“-Staaten haben seitdem eine eigene Meinung zum Flüchtlingsthema und auch zu anderen Themen. Auch hier geht der Riss durch die Bevölkerung, in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern. Auf der einen Seite steht die Willkommenskultur, die die Migrationskritiker pauschal als Nazis beschimpft (angesichts der deutschen Geschichte das schlimmste politische Schimpfwort überhaupt), und auch die Migrationskritiker halten mit Beschimpfungen nicht hinter den Berg. Gewalttätige Demonstrationen sind genau so an der Tagesordnung wie gewalttätige Gegendemonstrationen.

Beispiel Umweltpolitik

Ohne auf die Nuancen zwischen Feinstaub, Klimaproblematik und Plastikmüll einzugehen: Auch die Umweltpolitik spaltet Europa, von der europäischen Ebene über die Nationen bis in die Familien.

Was tun?

Vor vielen Jahren habe ich für das World Wide Web Consortium gearbeitet. Damals hatte das zentrale Dokument, das den Standardisierungsprozess beschrieb, den Untertitel:

„Forging Consensus“

Das heißt so viel wie: „Übereinstimmung schmieden“.

Wie geht das?

„Forging Consensus“ ist der lange, harte Weg: Transparenz schaffen und aufrechterhalten, gerade wenn die Lage schwierig ist.

Tu was Du sagst, sag was Du tust.

Opfer kann nur erwarten, wer auch Opfer bringt.

Gegenbeispiele aus der jüngeren Vergangenheit:

  • Der Klimakompromiss wurde in zwei Richtungen gebrochen: Die „Aktivisten“ haben sich an das versprochene Ende der Aktionen nicht gehalten, und die Bundesregierung hat im gerade verabschiedeten Klimapaket die Entlastung bei den Strompreisen „vergessen“.
  • Einerseits ist allen bekannt, dass Deutschland seine bestehenden Rentenverpflichtungen für „meine“ Generation“ nicht wird einhalten können. Trotzdem werden im Rahmen eines „Grundrenten“-Versprechens noch weitere Zusagen gemacht, die in ca. 15 Jahren die Explosion noch weiter verschlimmern werden

… und so weiter …

Agil – Einstellung oder Werkzeug?

„Agile“ wird zu einem „langsamen Hype“. Ausgehend von der IT, wo Agilität schon seit vielen Jahren alles auf den Kopf stellt, weitet sich der Wunsch „agil zu sein“ auf andere Branchen aus. Gerade in Branchen, in denen Feedback-Zyklen deutlich langsamer sind als in der IT, möchten Führungskräfte „von der Trickkiste“ der Agilität profitieren, ohne die gesamte Unternehmenskultur neu zu gestalten.

Auf der anderen Seite wird jeder ernsthafte Praktizierende von agil so etwas sagen wie „agil ist eine Einstellung“. Agilisten werden Ihnen sagen, dass „agile“ eine Denkweise ist, und dass diese Denkweise ein passendes Toolset hervorgebracht hat, und dass der Wert des Toolsets ohne die Denkweise in Frage steht.

Auf eine gewisse Weise haben beide Recht. Auf eine gewisse Weise haben beide Unrecht.
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